Kapitel 3

Als Lady Sophie York im Ballsaal der Dewlands angekündigt wurde, erhob sich ein leises Stimmengewirr. Sophie war ein wildes, unbändiges Mädchen - das schlimmste Beispiel für die Jugend von heute, murmelten die altern Jungfern in den Ecken des Raums.

Für die männlichen Richter der Londoner Mode war sie jedoch die schönste Frau Englands. Sie war klein, aber umwerfend schön; sie war kokett, zugleich jedoch die Tochter der förmlichsten Aristokratin Londons, nämlich der Marquise von Brandenburg. Eloises kühle, französische Ermahnungen hatten schon so mancher Reputation eines jungen Mädchens geschadet, das den schmalen Grad zwischen ungebührlichem Verhalten und purer Schamlosigkeit überschritt. Es war nur natürlich, dass Eloises bissige Kommentare über die Anständigkeit von jungen Damen die Freizügigkeit ihrer eigenen Tochter umso köstlicher, umso bemerkenswerter machten.

Sophie blieb am oberen Ende der Treppe stehen, während sich ihr Papa in die Menge stürzte, um sich (ohne Zweifel) auf die Suche nach der lieblichen Dalinda zu machen. Ihre Mama folgte ihm mit strenger Miene und ihr kerzengerader Rücken verriet ihren Zorn, der durch die Jahre kaum geringer geworden war. Sophie suchte zwischen den Gästen nach, wie sich einredete, Lord Slaslow.

Innerlich wusste Sophie jedoch, dass diese Lüge nur ihre Schwäche und ihren Mangel an Moral verdeutlichte, wie ihre Mutter es womöglich ausgedrückt hätte. Sie suchte in Wahrheit nach einem Mann, der so breite Schultern besaß, dass er sich in feinem Wolltuch beinah unbehaglich zu fühlen schien. Sie suchte nach zerzaustem Haar, das mit silbernen Strähnen durchzogen war. Sie hatte Patrick nicht mehr gesehen, seit sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte und nun konnte sie ihn nicht entdecken.

Ihre Mutter, die bereits am Fuß der Treppe angelangt war, drehte sich verärgert zu ihr um.

»Sophie!«, zischte sie.

Nachdem Sophie gehorsam die restlichen Stufen hinuntergegangen war, packte Eloise mit stählernem Griff ihr Handgelenk.

»Hör auf, dich so zur Schau zu stellen!«

Die Gentlemen stürzten sich auf Mutter und Tochter und umringten Sophie. Sie flehten sie um einen Tanz an, reichten ihr Tanzkarten un

warfen ihr schmachtende Blicke zu. Eloise begnügte sich damit, Sophie tadelnd anzuschauen, bevor sie sich in die Ecke der Anstandsdamen zurückzog, wo nur jene Damen sitzen durften, deren Titel sich mit ihrer Bissigkeit messen konnte.

Lachend schenkte Sophie ihre Aufmerksamkeit den eifrigen Gentlemen, auch wenn das ganze Unterfangen unaufrichtig war. Am nächsten oder spätestens am übernächsten Tag würde in der Times eine diskrete Bekanntmachung erscheinen:

Der Graf von Slaslow verkündet seine baldige Vermählung mit Lady Sophie York, der Tochter des Marquis von Brandenburg. Die Zeremonie wird in der Kirche von St. George stattfinden und der offizielle Empfang wird im Saal des Hosenbandordens im St. James's Palace abgehalten.

Dann würde die schwatzende Schar von ihr ablassen und in ganz London bekannt werden, dass sich die große Erbin, Sophie York, endlich einen Ehemann ausgesucht hatte. Bis Februar würde sie mit Braddon Chatwin, dem »Liebenswerten Grafen«, wie er des Öfteren genannt wurde, verheiratet sein. Braddon war tatsächlich liebenswert und würde einen angenehmen Gatten abgeben. Er mochte Pferde wahrscheinlich lieber als menschliche Wesen, aber er wettete nicht übermäßig bei den Rennen.

Und er machte den Eindruck, als wäre er zu freundschaftlicher Zuneigung fähig. Dies war genau das Gefühl, das Sophie in die Verbindung einzubringen gedachte. Sie würden schöne Kinder haben (ein wichtiger Punkt) und Braddon würde seine Mätressen unauffällig im Hintergrund halten. Es wäre zu abschätzig, ihn nur verlässlich zu nennen, dachte Sophie, als der erste Tanz des Abends begann. Braddon war gütig und, so weit sie wusste, hatte er keine größeren Laster. Sie würden glücklich miteinander werden.

Der Abend nahm seinen Verlauf und weder ihr Verlobter, noch jemand anderes Wichtiges tauchte an ihrer Seite auf. Sophie tanzte voller Eleganz und mit außergewöhnlicher Grazie; nur die Aufmerksamen bemerkten, dass ihr ansteckender Humor an diesem Abend leblos wirkte, wenn nicht sogar gänzlich fehlte. Ein junger Beau bemerkte, dass seine dahingeplapperten Liebesbezeugungen mit einer kühlen Abfuhr quittiert wurden statt mit einer freundlichen Bemerkung, wie es sonst der Fall war.

Sophie kam sich vor wie auf einem Hochseil, das in Schwindel erregender Höhe über einer Schar junger Männer gespannt war, deren alberne Bemerkungen und schwitzigen Hände ihren Balanceakt erschwerten.

Sie hörte auf, sich nach dem schwarzen, mit silbernen Strähnen durchzogenen Haarschopf umzuschauen. Es war doch sinnlos. Bald würde sie eine Gräfin sein und nicht Patrick Foakes' Gemahlin.

Sie ging am Arm von Peter Dewland, dem Sohn der Gastgeberin, zu Tisch. Peter war ein freundlich dreinblickender eleganter Gentleman, den Sophie bereits seit Jahren kannte. Er war ein erholsamer Begleiter, denn er erwartete anscheinend keineswegs, dass ihm die ungekrönte Schönheit Londons in die Arme sank. Im Gegenteil, dachte Sophie anerkennend, Peter hat mir noch nie in irgendeiner Form den Hof gemacht.

»Wie geht es Ihrem Bruder?«, fragte Sophie. Peters älterer Bruder hatte sich bei einem Reitunfall grausame Verletzungen zugezogen und war die letzten drei Jahre mehr oder weniger ans Bett gefesselt gewesen.

»Es geht ihm schon viel besser«, verkündete Peter strahlend. »Er wurde in letzter Zeit von einem deutschen Arzt behandelt, der sich seit ein paar Monaten bei Hofe aufhält. Haben Sie schon von ihm gehört? Der Name des Arztes lautet Trankelstein. Ich hatte es ja für kompletten Unsinn gehalten, aber Trankelsteins Massagen scheinen tatsächlich zu helfen. Quill - so nennen wir Erskine innerhalb der Familie - ist mittlerweile in der Lage, sein Schlafzimmer zu verlassen und die Schmerzen haben nachgelassen. Er verbringt beinah jeden Tag im Garten und möchte am liebsten gar nicht mehr ins Haus zurückkehren.«

Sophie brachte zum ersten Mal an diesem Abend ein echtes Lächeln zu Stande, das ihr Gesicht aufleuchten ließ. »Oh, Peter«, sagte sie und bemerkte nicht einmal, dass sie ihn beim Vornamen nannte, »das ist ja wirklich wunderbar!«

»Wenn Sie möchten«, schlug Peter ein wenig schüchtern vor, »können Sie Quill besuchen, Lady Sophie. Er sitzt heute Abend in der Bibliothek, und ich weiß, dass er Ihnen gerne für das Feuerwerk danken möchte, das Sie mit arrangiert haben.«

»Ich kann keinen Dank dafür annehmen«, protestierte Sophie. »Das Feuerwerk geht ausschließlich auf die Bemühungen des Grafen und der Gräfin von Sheffield zurück. Ich gehörte zufällig zu der Gruppe, die Vauxhall besuchte.« Der Ausflug nach Vauxhall und das daraus resultierende Feuerwerk im Garten der Dewlands hatten sich vor über einem Jahr zugetragen. Sophie hatte, umringt von Verehrern, in der Hitze des Londoner Sommerabends dagestanden und den herrlichen, sich drehenden Feuerwerkskörpern zugesehen, die den Himmel erleuchteten. Um genau zu sein hatten ihre Bewunderer dem Feuerwerk zugesehen. Sophie beobachtete währenddessen ihre liebste Freundin Charlotte, die neben dem Grafen von Sheffield und Downes - Patrick Foakes' Zwillingsbruder - stand. Sie sah die heimliche Röte, die Charlottes Wangen wärmte, als sich diese, durch die samtige Nacht und die funkelnden Lichter am Himmel vor den Augen der Klatschmäuler geschützt, gegen Alex' Brust lehnte.

Sophie hatte Charlotte am nächsten Tag aufgezogen und sie ausgelacht, weil sie so nah bei Alex gestanden, innig zu ihm aufgeblickt und ihm erlaubt hatte, mit seinem Arm ihre Taille zu umfangen. Nun verstand Sophie Charlottes überraschendes Verhalten.

Ihr eigener Körper war ihr fremd geworden. Sie war gereizt, weil sich der andere Foakes-Zwilling nicht im Ballsaal befand. Sie vermisste das zu Kopf steigende Gefühl der Vertrautheit, das ihr noch fremd war. Ihr Verstand war zum Verräter geworden und ihre Gedanken waren nicht mehr in der Lage, sich auf ihren zukünftigen Ehemann zu konzentrieren, sondern schweiften immer wieder ab und kreisten um verruchte, schwarze Augen und einen lachenden Mund.

Es war abstoßend, armselig, peinlich - sie unterbrach ihre stillen Selbstvorwürfe und stand auf. »Sollen wir jetzt Ihren Bruder aufsuchen?«

Peter erhob sich höflich und ließ den schmackhaften Fasan auf seinem Teller ohne einen weiteren Blick zurück. »Es wäre mir ein Vergnügen«,

erwiderte er. »Ich werde meine Mutter bitten, uns zu begleiten.«

Sophie nickte, überrascht über ihre eigene Gedankenlosigkeit. Ihre Reputation würde ernsthaften Schaden nehmen, wenn sie erneut mit einem Mann verschwände.

Viscountess Dewland betrachtete das Paar mit einem wohlwollenden Lächeln und verließ den behaglichen Kreis der Klatschmäuler, um in die Bibliothek zu schlendern. Man wird mich nie dabei ertappen, dass ich mich abfällig über Sophie Yorks Verhalten äußere, dachte sie. Das Kind hat ein gütiges Herz.

Mit dem wachsamen Auge einer Mutter bemerkte Kitty Dewland, dass Lady Sophie keine Anziehungskraft auf ihren geliebten Peter auszuüben schien. Wenn sie sich nicht irrte, und das kam ihrer eigenen Überzeugung nach sehr selten vor, dann war die junge Frau ganz offensichtlich in den Grafen von Slaslow verliebt. Die Gerüchte, die ihr über die bevorstehende Bekanntgabe ihrer Verlobung zu Ohren gekommen waren, bestätigten ihren Eindruck.

Kitty seufzte romantisch berührt. Welch wunderbaren Abend hatte sie selber doch erlebt, als die Verlobung mit ihrem lieben Thurlow verkündet wurde. Ein wenig rühmliches, aber köstliches Triumphgefühl hatte sie durchströmt, als sie inmitten der anderen jungen Damen ihre Runde durch den Saal machte und die Gewissheit auskostete, dass ihre Zukunft gesichert war! Kitty rief sich innerlich zur Ordnung und betrat die Bibliothek, um Quill und Lady Sophie einander vorzustellen.

Quill - oder Erskine - war ganz und gar nicht das, was Sophie erwartet hatte. Sie erinnerte sich vage an ein schmales, bleiches Gesicht, das während des Feuerwerks im Garten der Dewlands hinter der Fensterscheibe auftauchte. Aber das Gesicht, das aus dem Ohrensessel zu ihr hoch blickte, war braun gebrannt und viel dunkler, als das der meisten Gecken in London, die an Amüsements im Haus und an gemächliche Ausflüge in überdachten Kutschen gewöhnt waren. Quills Gesicht war hager und von Schmerzen gezeichnet, aber auffallend intelligent und sehr gut aussehend.

Nun stand er vor ihr und seine kühlen Lippen streiften ihren Handrücken. Es schien ihm keine Probleme zu bereiten, aufrecht zu stehen, und erst als er sich wieder in den Sessel sinken ließ, bemerkte sie, welche Anstrengung es ihn kostete, sich zu erheben. Schnell nahm sie auf der erstbesten Sitzgelegenheit Platz, die sie entdeckte, und zwar auf einem kleinen, gepolsterten Hocker vor dem Kamin. Sie wollte Quill kein Unbehagen verursachen, weil er in Gegenwart einer Dame nicht stehen bleiben konnte.

Peter zog einen der schweren Ledersessel heran und seine Mutter ging zu dem Ehrenwerten Sylvester Bredbeck hinüber, der sich in die Bibliothek zurückgezogen hatte, um seinen von der Gicht befallenen, linken Knöchel auszuruhen.

Quill betrachtete Sophie unter schweren Augenlidern und sein Gesicht war so ausdruckslos, dass man keinerlei Verlegenheit darauf erkennen konnte, sollte er tatsächlich welche empfinden.

»Genießen Sie den Ball, Lady Sophie?«, fragte er gedehnt.

Sophie errötete ein wenig. Sie spürte Spott, fühlte sich an diesem Abend jedoch geistig nicht agil genug, um darauf zu reagieren. Um genau zu sein schienen sich alle schlagfertigen Bemerkungen, die eine Unterhaltung zwischen den Männern und Frauen der feinen Gesellschaft charakterisierten, aus ihrem Gedächtnis verflüchtigt zu haben.

»Nicht besonders«, erwiderte sie aufrichtig.

»Hm«, murmelte Quill, und sein Blick bemerkte die leicht herabhängenden Winkel ihres Mundes. »Vielleicht würden Sie sich gerne eine Pause von dem unablässigen Frohsinn dort unten gönnen? Wir könnten eine Partie Backgammon spielen, wenn Sie möchten?«

Sophie dachte hastig nach. Damen zogen sich nicht in die Bibliothek zurück, um während eines Balls Backgammon zu spielen. Andererseits wurde sie von niemand geringerer als der Gastgeberin höchstpersönlich begleitet und es wäre sehr angenehm, ihren angestrengten Nerven eine kleine Erholung zu verschaffen. Weder Braddon noch Patrick würden die Bibliothek betreten, also war ihr ein Moment der Ruhe sicher, bevor sie in den Ballsaal zurückkehren musste.

Sie hob den Blick und begegnete Quills grünen Augen. »Es würde mir sehr große Freude bereiten, Ihnen Gesellschaft zu leisten.«

Auf das Nicken seines Bruders hin sprang Peter auf und holte einen kleinen Tisch herbei, dessen Oberfläche aus einer Einlegearbeit in Form eines Backgammonspiels bestand. Sophie und Quill legten schweigend die Steine auf das Brett, während der flackernde Widerschein des Kaminfeuers von den mit Walnussholz getäfelten Wänden zurückgeworfen wurde und unstet über die schwarzen und weißen Steine, Sophies schlanke Finger und Quills rotbraune, glänzende Haarsträhnen glitt.

Die Partie verlief ruhig, bis Sophie zum zweiten Mal einen Pasch warf.

Quill hob den Blick und schaute mit einem Glitzern in den Augen zu seinem Bruder hinüber. »Wen hast du mir denn hier gebracht, um meine Einsamkeit zu mildern, Peter? Eine Meisterin dieses Spiels?« Belustigt musterte er Sophie. »Welch ein Glück, dass ich zu sehr Gentleman war, ein Pfand vorzuschlagen!«

Sophie erwiderte seinen Blick mit einem zurückhaltenden Lächeln. Ihr einziges Talent bei Brettspielen bestand darin, immer wieder einen Pasch zu werfen, damit hatte sie ihren Großvater immer zur Verzweiflung getrieben, als sie noch ein Kind war. Sie nippte an ihrem Glas, das neben ihrem Ellbogen stand, und fühlte sich schon um einiges fröhlicher. Die Bibliothek war ein schimmerndes Refugium, eine ruhige, vom flackernden Feuerschein erhellte Oase, in die sie sich vor dem ungezügelten Hunger flüchten konnte, der ihren Körper in Besitz genommen zu haben schien.

Als sie den nächsten Pasch warf, quittierte sie Quills gemurmelten Protest mit einem schadenfrohen Lächeln und sie grinste ihn mit unverholener Freude an, als es ihr am Ende des Spiels gelang, einen letzten Pasch - mit zwei Sechsen! - zu werfen.

Genau in diesem Moment betraten die beiden Männer, nach denen sie den ganzen Abend Ausschau gehalten hatte, nämlich Braddon Chatwin, der Graf von Slaslow, und sein guter Freund Patrick Foakes, die Bibliothek. Braddon steuerte direkt auf die Frau zu, mit der er gerade gegenüber seinem alten Schulfreund voller Stolz geprahlt hatte.

Patrick blieb jedoch an der Tür stehen. Das Kaminfeuer hinter Sophie ließ ihr Haar aufleuchten und verlieh ihm die Farbe von reifen Pfirsichen, wenn nicht gar die von in Flaschen gegärtem Aprikosenwein. Sie hatte das Haar aufgesteckt, aber die Locken, die ihr auf den Rücken herabhängen sollten, waren nach vorne gefallen. Sie schienen in fünfzig verschiedenen Schattierungen zu schimmern, die von Rot über Gold bis zum reinsten Sonnengelb changierten. Zudem hatte sich ihr feines Haar zu immer kleineren Löckchen geformt, die Sophies Kopf das Aussehen eines weichen, daunigen Pfirsichs verliehen. Dies und die verheißungsvolle sonnige Farbe bargen das Versprechen, dass ihr Haar so weich sein würde wie eine reife Sommerfrucht an den Lippen.

Patrick hätte beinah auf dem Absatz kehrt gemacht. Sophie lachte und ihre Augen funkelten. Das änderte sich jedoch schlagartig, als sie ihn erblickte. Ihr Lächeln verschwand einen Moment lang völlig und dann fuhren ihre Mundwinkel wieder in die Höhe, ohne dass das Lächeln ihre Augen erreichte. Sie hat wahrscheinlich Angst, dass ich Braddon verrate, wie geübt sie in der Kunst des Küssens ist, dachte Patrick mürrisch.

Braddon war wie ein übereifriger Welpe zu der Gruppe vor dem Kamin geeilt, hatte alle begrüßt und stand nun da und strahlte auf seine zukünftige Braut hinunter. Patrick hingegen schlenderte langsam auf den Kamin zu. Sollte ihn doch der Teufel holen, wenn er sich durch ein anziehendes Frauenzimmer aus der Fassung bringen ließ, das den Nerv besessen hatte, ihn wegen eines Titels abzuweisen. Sie hatte bekommen, was sie wollte. Nun war sie mit dem einzigen Grafen verlobt, der dieses Jahr auf dem Heiratsmarkt im Angebot war, und wenn man bedachte, dass es ansonsten nur einen unverheirateten Herzog gab, nämlich den alten Siskind mit seinen acht Kindern, dann hatte sie sich den Besten geangelt - zumindest, bis er selber Herzog würde. Patricks Augen glühten vor unbändigem Zorn.

Sophie warf einen Blick auf sein Gesicht und wandte sofort hastig die Augen ab. Dabei stieg ihr eine leichte Röte in die Wangen, zart wie der pinkfarbene Champagner in ihrem Glas. Braddon hatte sich auf den Teppich geworfen und rückte die Backgammonsteine zurecht. Er war entzückt, weil er feststellte, dass seine zukünftige Frau das Spiel beherrschte. Sophie zwang sich, ihn anzulächeln.

Aus dem Schatten seines hohen Ohrensessels hatte Quill beobachtet, wie die charmante Lady Sophie zuerst erstarrte und dann eine oberflächliche Fröhlichkeit an den Tag legte; er drehte sich zur Seite, um herauszufinden, wer sie von einer bezaubernden jungen Frau in eine glatte, unterkühlte Dame der Gesellschaft verwandelt hatte.

Also tauchte eine schlanke braune Hand aus dem Sessel auf und eine sarkastische Stimme sagte gedehnt: »Patrick, du alter Halunke, komm her und begrüße mich.«

»Quill!«

Blitzschnell trugen Patricks lange Beine ihn zu dem Sessel und seine schwarzen Augen strahlten vor Freude. »Mein Gott, Mann, ich dachte, du wärst ans Bett gefesselt!«

»Nun, das war ich bis vor ein paar Monaten auch.«

»Du siehst großartig aus.«

»Ich lebe noch«, erwiderte Quill schlicht.

Patrick ging vor dem Sessel in die Hocke. »Ich habe an dich denken müssen, als ich in Indien war und mir ein Maharadscha androhte, mich köpfen zu lassen, nur weil ich nicht vor seinem kleinen Götzen niederknien wollte. Er erinnerte mich an deine Tyrannei in der Schule.«

Sophie konnte es kaum ertragen. Patrick befand sich auf gleicher Höhe mit ihr, da sie auf dem niedrigen Schemel saß und er direkt neben ihr hockte. Ihre Augen wanderten instinktiv an seinem Körper hinunter und verharrten an den engen Hosen, die seine muskulösen, harten Oberschenkel umspannten. Ruckartig wandte sie den Kopf ab wie ein nervöser Hase im hohen Gras, aber es war bereits zu spät. Sophie schluckte hart und rückte unmerklich zur anderen Seite ihres gepolsterten Schemels.

Patrick, dem inzwischen bewusst wurde, dass der ehrgeizige kleine Fratz immer noch eine äußerst belebende Wirkung auf seinen Körper hatte, fühlte sich unbehaglich. Ein lieblicher Duft, ein unschuldiger, süßer Duft nach Kirschblüten, der seine Sinne entflammte, drang ihm von der rechten Seite in die Nase. Am liebsten hätte er Sophie über die Schulter geworfen und in ein Schlafzimmer getragen.

Patrick fuhr in die Höhe und sein Gesichtsausdruck wirkte plötzlich regelrecht bedrohlich. Als er auf den Schemel hinunterblickte, stand in seine Augen ein sardonisches Glitzern.

»Lady Sophie, zu Ihren Diensten.« Er verbeugte sich höflich. »Ich muss mich entschuldigen; ich hatte Sie vorher gar nicht gesehen.«

Sophie errötete erneut. Natürlich hatte er sie gesehen. Sein flüchtiger Blick hatte sie in ein unbewegliches Etwas verwandelt. Sie senkte ebenso höflich das Kinn zum Gruß, da sie ihrer Stimme nicht traute.

Er war noch genauso schön wie vor einem Monat, obwohl seine Augen nun nicht mehr einen Ausdruck der Verführung bargen sondern Spott. Sein Haar wirkte ungebändigt, obwohl er es mit der sorglosen Eleganz frisiert hatte, die die Gentlemen in London gerade bevorzugten. Aber Patricks Haar roch nicht nach Pomade und Haaröl, sondern nach windgepeitschten Ausritten und frischer Luft. Es war schwarz wie Ebenholz, mit Ausnahme der rebellischen, silbernen Strähnen, die den Eindruck erweckten, als sei sein Haar in Mondlicht getaucht worden.

Sophie rief sich zur Ordnung. Unter den spöttischen Blicken dieses erfahrenen Lebemannes schmolz sie ja dahin wie Schnee in der Sonne. Und Viscountess Dewland, die immer noch mit Sylvester Bredbeck plauderte, wurde offensichtlich langsam unruhig.

Sophie erhob sich anmutig. Sie schenkte Quill ein Lächeln, und zwar ein echtes Lächeln, das ihre Augen aufleuchten ließ und ihre Mundwinkel umspielte. Quill erhob sich ebenfalls, schwankte dabei aber er ein wenig und suchte Halt an der Armlehne seines Sessels.

Sophie machte einen tiefen Knicks. »Bitte, bleiben Sie doch sitzen.«

Quills Miene war schmerzverzerrt, verriet aber dennoch großes Mitgefühl. »Lady Sophie, es wäre mir eine außerordentliche Ehre, Sie in Zukunft wieder zu treffen. Vielleicht gewähren Sie mir eine Revanche, wenn ich mehr Glück habe.«

»Das würde mir große Freude machen«, sagte Sophie.

Sie wandte sich Quills Bruder, Peter, zu und lächelte ihn warmherzig an. Dann glitten ihre Augen kühl über Patrick hinweg und richteten sich auf ihren Verlobten, der neben ihr stand.

»Mylord.«

Sie nahm Braddons dargebotenen Arm und überquerte den mit einem karmesinroten und rubinfarbenen Blumenmuster verzierten Perserteppich. Sie war sich der Männer, deren Blicke ihr folgten, sehr wohl bewusst - zum einen Quill, der noch nicht wieder Platz genommen hatte und ihr auf so mitfühlende Art hinterherlächelte, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre, und zum anderen Patrick, dessen Lippen ein spöttisches Lächeln umspielte und dem sie am liebsten eine Vase an den Kopf geworfen hätte. Ich werde mich nicht nach diesem - diesem unzuverlässigen Verführer umsehen, dachte sie. Und das tat sie auch nicht.

Was Patrick anging, so sah er Sophie, die der Bekanntgabe ihrer Verlobung mit Braddon Chatwin entgegenging, mit einem Anflug von Zorn hinterher, der ihm eine Hitzewelle durch den Körper jagte. Er verspürte den unbändigen Drang, quer durch den Raum zu stürzen, sie über seinen Arm zu beugen und ihr den selbstsicheren Schwung ihrer Hüften auszutreiben, mit dem sie an Braddons Seite davonging.

Er wusste, er war sich ganz sicher, dass er nur einen einzigen Moment benötigen würde, Sophie in die errötete, zitternde Frau zu verwandeln, die er im Arm gehalten hatte -die Frau, deren Verwirrung so anrührend echt ausgesehen hatte, dass er beinah hätte glauben können, dass sie doch nicht das erfahrene Frauenzimmer, das kleine Biest war, das beinah jeden Gentleman in London geküsst hatte. In diesem Fall hätte er womöglich ... Was hätte er?

Als Peter sich entschuldigte und zurück in den Ballsaal trottete, machte Patrick keine Anstalten, ihm zu folgen. Er ließ sich auf den Hocker fallen, vom dem Sophie sich erhoben hatte und seine großen braunen Hände ordneten die Backgammonsteine. Patrick schaute schließlich auf und entdeckte, dass Quills kühler Blick auf ihn gerichtet war.

Quill war schon immer mit eiserner Zurückhaltung gesegnet gewesen, sogar, als sie noch jungen waren und unter den Demütigungen des gemeinschaftlichen Schulalltags litten. Patrick bekam stets hitzige Wutanfälle und stürzte sich auf seinen Zwillingsbruder Alex, dem er verzweifelt versuchte, den Kopf in den Boden zu hämmern; Quill hingegen drückte sich mit wenigen zielsicheren Worten aus.

Nun legte er den Kopf gegen das tiefbraune Leder und schloss die Augen. Als er sprach, enthielt seine Stimme keinerlei versteckte Andeutung.

»Erinnere ich mich richtig, dass Braddon dir schon einmal eine deiner Frauen ausgespannt hat - eine rothaarige Schauspielerin?«

»Arabella Calhoun. Er hat sie immer noch. Sie ist seit letztem Sommer seine Geliebte.« Patricks harte Augen forschten in Quills regungsloser, undurchsichtiger Miene. »Lady Sophie«, fügte er heftig hinzu, »war niemals >eine meiner Frauen<. Sie hat mir eine glatte Abfuhr erteilt.«

Daraufhin riss Quill die Augen auf. »Du hast dich getraut?«

Angesichts Quills amüsiertem Blick entspannten sich endlich Patricks Züge und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen.

»Es war ein ziemlicher Schock«, räumte er ein.

»Ja, besonders, wenn man all die Frauen bedenkt, die dir im letzten Jahr nachgejagt sind ...« Quill wedelte träge mit der Hand. »Peter hält mich über den Londoner Klatsch auf dem Laufenden. Seit dein Bruder sich vermählt hat, bist du doch regelrecht der Liebling der Gesellschaft geworden, oder nicht?«

»Nein.«

»Du musstest dich sicherlich des Öfteren vor den Mamas von Töchtern im heiratsfähigen Alter in Sicherheit bringen, nachdem du drüben in Indien so unverschämt reich geworden bist, dass einem die Worte fehlen?«, fügte Quill boshaft hinzu.

» Sollen wir spielen?«

»Von der liebenswürdigen Sophie York abserviert! Ich muss Mutter bitten, sie einmal zum Tee einzuladen.«

»Sie wird in Zukunft sehr beschäftigt sein«, sagte Patrick mit gleichgültiger Stimme. »Ich vermute, sie sind nun dort draußen und nehmen die Glückwünsche entgegen.«

Quill schwieg einen Moment. »Ach, so weit ist es schon gediehen?«

»Ja. Sie ist keine Närrin«, zitierte Patrick unwissentlich Sophies eigene Einschätzung. »Sie hat sich für den Titel entschieden.«

»Unglücklicherweise ist Braddon ein Schafskopf. Er wird sie innerhalb eines Monats in den Wahnsinn treiben.« Quills tief liegende Augen beobachteten seinen Jugendfreund mit scheinbarer Gleichgültigkeit.

»Sollen wir spielen?«, wiederholte Patrick mit rauer, ungeduldiger Stimme.

»Na gut.«

Durch die dicken Türen aus Wallnussholz drang der schwache Lärm des Festes, aber in der Bibliothek hörte man nur das Klicken der Spielsteine auf der glatten Oberfläche des Bretts. Eine Marmorbüste Shakespeares blickte stumm auf die gebeugten Köpfe der Männer hinunter.

Nach dem dritten Spiel unterbrach Patrick plötzlich die friedliche Atmosphäre, die Quills Gelassenheit und das flackernde Kaminfeuer geschaffen hatten.

Er blickte Quill voller Selbstironie an. »Soll ich hineingehen und dem glücklichen Paar gratulieren?«

Quills zusammengekniffene Augen verrieten absolut nichts. Schließlich sagte er gedehnt: »Ich werde zu Bett gehen. Du hast mich mit deinen Emotionen völlig ermüdet.« Er stemmte sich hoch und stützte sich dann auf die hohe Lehne des Ledersessels.

»Ich bin froh, dass du sicher aus dem Orient zurückgekehrt bist, Patrick.«

»Tut mir Leid wegen dieses verdammten Gauls.«

Quill schmunzelte. »Schuld war meine Reiterei. Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder.«

Gemeinsam verließen sie die Bibliothek. Der Körper des einen Mannes war ein fließendes Muskelspiel, das nur durch die engen Beinhosen des Londoner Gentleman maskiert wurde. Der Körper des anderen Mannes war nicht minder muskulös, aber diese Muskeln waren knotig und verkrampft und weigerten sich, den Befehlen ihres Herrn zu folgen. Eiserne Selbstkontrolle half Quill, den Perserteppich zu überqueren und sich in das Refugium seines Bettes zurückzuziehen; kontrollierte Leidenschaft führte Patrick in die andere Richtung, zu den schimmernden, aufreizenden Locken einer Frau, die er mit einer Heftigkeit begehrte, die er an sich selber verachtete.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
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